

Z A H N A E R Z T E K A M M E R . A T
ÖZZ Ausgabe 1/2025
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A U S D E R P R A X I S
Zwischenzeitlich hatte sie noch ein Negativerlebnis: Ein Be-
handler verordnete ihr ein B-Vitaminkomplexpräparat, worauf
sie eine heftige Allergie entwickelte. Diese Beschwerden dau-
erten mehrere Monate und seitdem hat sie eine Abneigung
gegen allopathische Medikamente.
Wendepunkt durch Neuraltherapie
Die Erstkonsultation in der Praxis von Dr. Gold-Szklarski fand
am 25.07.2019 statt. Zu diesem Zeitpunkt bestand ein starker
Unterkieferschmerz NRS 6 rechts ohne Erholungsphasen. Die
Patientin berichtete überwiederholte heftige Verspannungen an
der rechten Schläfe und im Nacken sowie über Wetterfühligkeit
und depressive Verstimmtheit.
Bei der neuraltherapeutischen Untersuchung waren folgende
Regionen auffällig (im Sinne eines Störfeldgeschehens):
HNO-Region (sie erhielt Tonsillektomie imAlter von fünf Jah-
ren und litt wiederholt an Otitis media rechts)
Leber (es besteht eine oligosymptomatische Cholelithiasis.
Sie berichtete auch über ein Psychotrauma – ihre Mutter sei
im Krieg an Leberschwellung verstorben, wodurch der Fokus
Leber eine spezielle Gewichtung erlangte)
Rechte Schienbeinregion (schlecht heilende Verletzung nach
Sturz auf die Bettkante 2003)
Da die Lokalbehandlung im Kieferbereich ausgereizt war, wur-
de sofort mit Neuraltherapie der verdächtigen Störfeldregionen
begonnen, Testparameter zur Überprüfung des Therapieeffekts
waren HWS-Funktion
1
und Patrick-Kubis
2
-Zeichen.
Bereits nach der ersten Behandlung kam es nach einer initialen
Verschlechterung zumdeutlichen Nachlassen der Beschwerden.
Zwischen Juli und November 2019 absolvierte die Patientin ins-
gesamt vier Sitzungen, wobei immer die Unterschenkelnarbe, die
Leberregion und die Kaumuskulatur rechts behandelt wurden.
Abschlussbefund
Nahezu schmerzfrei (NRS 0–1), lediglich kurzes Aufflackern leich-
ter Beschwerden bei Stress oder Ärger. Das Ergebnis kann als
stabile (fast vollständige) Remission bezeichnet werden.
Es wurden Kontrolltermine zur Ergebnissicherung in lockeren
Abständen vereinbart.
Diskussion
Die in der Neuraltherapie als „Störfelder“ bezeichneten Signalge-
ber führen zu einer Irritation und Reizschwellensenkung. Dadurch
können lokale Maßnahmen korrumpiert werden oder zu wenig
wirksam sein, außerdem steigt die Anfälligkeit für Rezidive. Erst
wenn die richtigen Signalgeber ausgeschaltet sind, kann die er-
krankte Region regenerieren undwird stabiler gegen Feindeinwir-
kung (Resilienz). Der zugrunde liegende Mechanismus ist leider
ungeklärt, man kann sich einen Rückkoppelungseffekt ähnlich
wie bei Mikrofonen vorstellen, die in Resonanz mit einem Laut-
sprecher ein anschwellendes unangenehmes Geräusch erzeugen.
Dieser Fall zeigt, dass das Phänomen „Störfeld“ Möglichkeiten
eröffnet, frustrane Verläufe zu bekämpfen. Er zeigt in anschau-
licher Weise, dass eine ausschließliche therapeutische Konzen-
tration auf die Primärläsion spätestens nach einermehrmonatigen
Schmerzepisode unzulässig ist. Im Sinne der Ganzheitsmedizin
muss die/der gesamte Patient:in nach Zusatzkonditionen abge-
sucht werden. Für diese Aufgabe ist Neuraltherapie prädestiniert.
Aufruf an die Wissenschaft
Bitte helfen Sie mit, den Störfeldmechanismus neu zu evaluie-
ren. Mit den gegenwärtig verfügbarenAnalysemethoden sollte es
möglich sein, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Die Art
der Signalemission, die zahlreichen Übertragungsmöglichkeiten
und die Auswirkungen auf das Zentralnervensystemmüssen neu
untersucht werden. So könnte die schon viel zu lange dauernde
unproduktive Diskussion einer wissenschaftlich akzeptablen Er-
klärungweichen und dieseswertvolle Phänomen rehabilitiert und
wieder flächendeckend zurTherapie von Schmerzsyndromen und
anderen frustran verlaufenden Erkrankungen eingesetzt werden.
1 HWS-Funktion: Die Rotation des Schädels in maximaler Anteflexion ist ein guter funktioneller Parameter zur Verlaufsbeobachtung.
2 Patrick-Kubis-Zeichen (4er-Zeichen): Die angewinkelte untere Extremität (Ferse auf der kontralateralen Patella) wird zuerst aktiv außenrotiert, danach übt
die/der Untersucher:in von medial Druck auf das gebeugte Knie – dieser Test zeigt eine Summation von Signalen aus dem Hüftgelenk, den sakroiliakalen
Bändern und der Hüftmuskulatur und ist in vielen Fällen ein ausgezeichneter Testparameter.
Dr. Kurt Gold-Szklarski
Arzt für Allgemeinmedizin, Referat
Aus- und Fortbildung der Österr.
Med. Gesellschaft für Neuraltherapie
& Regulationsforschung
(NT Austria),
www.neuraltherapie.at