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Z A H N A E R Z T E K A M M E R . A T

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ÖZZ Ausgabe 1/2025

Auf dem Weg zur akademischen

Zahnheilkunde

Den Grundstein für die akademische Zahnheilkunde in Österreich

legte Georg Carabelli. Der spätere Leibzahnarzt von Kaiser Franz I.

hatte mehrfach die „stiefmütterliche“ Existenz und die geringen

Fortschritte der Zahnmedizin im Vergleich zur aufstrebenden

Humanmedizin beklagt. Als außerordentlicher Universitätspro-

fessor für Zahnmedizin hielt Carabelli ab 1821 an der Universi-

tät Wien Vorlesungen zur „Zahnarzneykunde“ und publizierte

wenige Jahre später das zweibändige „Systematische Handbuch

der Zahnheilkunde“. Sein Ansatz, Zähne nicht isoliert, sondern

in ihrer Bedeutung für den ganzen Körper zu betrachten, kann

heute richtungsweisend für die Entwicklung einer akademischen

Zahnmedizin und folglich als Erfolg gegen die Tätigkeit der Zahn-

brecher angesehen werden. In weiterer Folge stellte Carabelli in

der eigenen Ordination zwei Stühle für die praktische Lehre zur

Verfügung. Unter den zahlreichen Zahnärzten, die Carabelli aus-

bildete, war auch ein gewisser Moriz Heider.

Zahnmedizinassistent wider Willen

Carabelli warHeider als Zahnarzt seinerMutter kein Unbekannter.

Doch Heider, der in den 1840er-Jahren sowohl zum Doktor der

Medizin als auch der Chirurgie promovierte, hielt von der Zahn-

medizinwenig und schlug daher auchmehrfach eine Assistenten-

stelle bei Carabelli aus. Womit er jedoch nicht gerechnet hatte:

Die Übernahme einer Assistentenstelle war Mitte des 19. Jahr-

hunderts, als die Anzahl der akademischen Medizinerabschlüsse

ungewöhnlich hoch war, de facto aussichtslos. So kam es, dass

Heider letzten Endes doch CarabellisAngebot annahm– allerdings

nach wenigen Monaten seine Position aufgrund der schwierigen

Zusammenarbeit mit dembereits kranken und gereizten Carabelli

wieder kündigte. Kurze Zeit später, imOktober 1842, starb Cara-

belli; davor hatte er Heider als Erben eingesetzt.

Die Kunst der Goldblattfüllung

Als Carabellis Nachfolger arbeitete Heider in den kommenden

Jahren unermüdlich amAusbau derOrdination in der Brandstätte 7

inWien und setzte sich vor allemdafür ein, das Ansehen des zahn-

D A M A L S & H E U T E

... dass das Tuberculum carabelli auf Carabelli zurückgeht,

der als Erster festgestellt hat, dass dieses bei Menschen

unterschiedlich stark, manchmal gar nicht ausgeprägt ist?

… dass Moriz Heider die 1847 erfundene Schwefeläther-

Anästhesie ablehnte, da seinerAnsicht nach die kurze Dau-

er von zahnärztlichen Eingriffen sie nicht erfordernwürde?

Wussten Sie, ...

Quellen

1. Gross, D. Heider – österreichischer Allrounder. Zahnärztliche Mitteilungen 107(22). 2017

2. Gramberger, A. K. Zahnärzte in der Gesellschaft der Ärzte. o. D.

3. Pühringer, V. Moriz Heider. Wien, 2023

4. Steinberger, P. Nachruf an Professor Dr. Heider. Wien, 1866

5. Wiener Zeitung, 30.07.1866

ärztlichen Berufsstands zu heben und so junge Mediziner dafür

zu begeistern. Zunächst hatte Heider jedoch mit einer schwer-

wiegendenUnwegsamkeit zu kämpfen: Immermehr Patient:innen

blieben der Ordination fern, bald deckten die Einnahmen kaum

mehr die monatlichen Auslagen. Heiders Überlebensstrategien

reichten von wissenschaftlichen Vorträgen und Publikationen

bis hin zu seiner Aufnahme in die Gesellschaft der Ärzte. Am er-

folgreichsten jedoch war die Bekanntschaft mit einem britischen

Zahnarzt, der 1846 nachWien kam, um Heider in der Technik der

non-kohäsiven Goldblattfüllung zu unterweisen. Heider war als

erster Zahnarzt imdeutschsprachigen Raummit dieser Fertigkeit

vertraut und etablierte damit die konservierende Zahnheilkunde

in Österreich. Das machte ihn unter den betuchten Patient:innen

Wiens schlagartig bekannt und aus der ehemaligen Patientennot

wurde rasch ein Patientenüberhang.

In den folgenden Jahren kümmerte sich Heider nachhaltig um

den Reputationsaufbau der Zahnheilkunde, indem er Carabellis

Sammlung an Lehrstücken erweiterte, an einer Pathologie der

Zähne arbeitete und 1860 einen Central-Verein für deutsche

Zahnärzte gründete. Dieser Verein sollte eine Drehscheibe für

den zahnärztlichen Wissensaustausch sein. In der Lehre setzte

Heider Standards in derwissenschaftlich-theoretischen und prak-

tischen Ausbildung und sah für Letzteres ein praktisches Jahr mit

intensiver Ausbildung in der Zahntechnik und Kieferchirurgie vor.

Der Professor für Zahnheilkunde, Moriz Heider, starb im Juli 1866

an den Folgen einer Tuberkulose.